Was ist der „Marsch für das Leben“ und warum sollten wir dagegen auf die Straße gehen?

Foto , CC BY-NC-ND 2.0 , by AV Dezign

An diesem Samstag, den 19. September, wird wieder einmal der „Marsch für das Leben“ unterwegs sein. Warum es wichtig ist dagegen auf die Straße zu gehen, kurz im Überblick erklärt:

Was ist der Marsch für das Leben?

Seit dem Jahr 2009 findet der „Marsch für das Leben“ in der Regel am zweitletzten Samstag im September statt. Schon damals startete der vom Bundesverband Lebensrecht veranstaltete Marsch mit 2500 Teilnehmer_innen. Letztes Jahr nahmen rund 5000 Menschen am Marsch teil.

In einem Schweigemarsch laufen diese jedes Jahr durchs Zentrum Berlins, tragen dabei weiße Kreuze vor sich her und demonstrieren für ein „Europa ohne Abtreibung und Euthanasie“. Die weißen Kreuze stehen symbolisch für die angeblich abgetriebenen „Kinder“, um die während des Marschs getrauert wird – daher auch das Schweigen. Die Demonstrant_innen richten sich komplett gegen Schwangerschaftsabbrüche, Sterbehilfe, Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik.

Die Mobilisierung für die Teilnahme erfolgt in ganz Deutschland mit Schwerpunkten in Baden-Württemberg Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Bayern.

Innerhalb Europas gibt es weitere Ausgaben des Marschs z. B. in Paris, Warschau, Zürich, Brüssel oder Rom.

Wer unterstützt den Marsch für das Leben?

Die Unterstützer_innen kommen vorwiegend aus christlich-konservativen Kreisen und vertreten die Annahme, dass ein Kind ab der Befruchtung der Eizelle „beseelt“ sei und nennen dies deshalb „ungeborenes Leben“. Sie gehören damit der Pro-Life-Bewegung (Lebensrechtsbewegung) an, die in den 1970er-Jahren in den USA aufkam und durch die Debatte zum § 218 und die Bemühungen, Schwangerschaftsabbrüche zu legalisieren, auch nach Deutschland schwappte.

Nur zur Erinnerung: Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland immer noch illegal und nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei.

Schwangerschaftsabbrüche werden als Mord verstanden und bis vor kurzer Zeit verwendeten die Unterstützer_innen auch noch Begriffe wie „Babycaust“, also eine Gleichsetzung mit dem Holocaust. (Um anschlussfähiger zu bleiben, beschränken sie sich mittlerweile meist auf „Lebensschützer_innen“, die Standpunkte sind aber identisch.)

Die Teilnehmer_innen des Marschs zeigen außerdem viele Schnittmengen mit Gruppen wie den „besorgten Eltern“, die sich gegen eine angebliche „Frühsexualisierung“ von Kindern einsetzen, weil diese in der Schule darüber aufgeklärt werden sollen, dass es mehr als Heterosexualität gibt und das vollkommen okay ist. Nicht zuletzt unter dem Stichwort Bildungspläne (#idpet) wurde hier deutlich, welche Sorgen wir uns tatsächlich machen müssen, wenn LGBTQI nicht nur als Menschen zweiter Klasse behandelt, sondern vielfältige Lebensweisen quasi wieder abgeschafft werden sollen.

Die vermeintlichen „Lebensschützer_innen“ sind gut vernetzt und keine bloßen „Freaks“ am Rande der Gesellschaft – sie sind mittendrin. Diese Stimmen gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ziehen sich durch sämtliche Altersgruppen und sind längst im Mainstream angekommen. Sie sitzen außerdem auch an wichtigen (politischen) Schlüsselstellen, was wir allein an Debatten wie die um eine Rezeptfreiheit der Pille danach sehen können.

Das zeigt sich ebenso an den Unterstützer_innen, die jedes Jahr fleißig Grußworte an den „Marsch für das Leben“ senden. Unter ihnen finden sich z. B. der Erzbischof Joachim Kardinal Meisner, der Erzbischof Rainer Maria Woelki, Robert Zollitsch (ehemaliger Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz), Dorothee Bär (CSU-Politikerin), Wolfgang Bosbach (CDU, ehemaliger Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages), Volker Kauder (Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion), Hubert Hüppe (CDU, ehemals Behindertenbeauftragter der Bundesregierung), Annette Schavan (CDU, ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung) oder Maria Böhmer (CDU, ehemalige Integrationsbeauftragte und jetzt Staatsministerin im Auswärtigen Amt). Und natürlich ist auch Papst Franziskus mit von der Gruß-Partie.

Gerade die CDU/CSU ist stark vertreten und bringt ihre Ansichten gegen sexuelle Selbstbestimmung auf einer parteipolitischen Ebene ein. Bea­trix von Storch, Mitglied des Europa-Parlaments für die AfD, lief letztes Jahr sogar auf dem Marsch mit und organisierte unter auch die „Demo für alle“ in Stuttgart mit.

Auf europäischer Ebene mobilisiert seit 2012 die Europäische Bürger_inneninitiative „Einer von uns (One of us)“ gegen Bemühungen die sexuelle Selbstbestimmung zu verbessern oder auch überhaupt erst zu ermöglichen.

Wo ist das Problem?

Sexuelle Selbstbestimmung ist ein Grundrecht, das allen Menschen zusteht und nicht wegzudenken ist, wenn wir in einer modernen, aufgeklärten und pluralen Gesellschaft leben wollen.

Insofern klingt das Motto des Marschs „Jeder Mensch ist gleich wertvoll, unabhängig von Eigenschaften und Umständen“ mindestens wie ein schlechter Scherz. Oder vielleicht sollte die Ergänzung dann wenigstens ehrlicherweise lauten: „Jeder Mensch ist gleich wertvoll… solange jemand heterosexuell ist, cisgender, verheiratet und keine Entscheidungen über den eigenen Körper fällen möchte.“

Beratungsstellen wie ProFamilia berichten schon länger von der Verschärfung des Klimas und der Erschwerung ihrer eh schon kaum wertgeschätzten und doch so wichtigen Arbeit.

Ärzt_innen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche als medizinische Leistungen anbieten und durchführen, haben langjährige Erfahrungen mit radikalen Abtreibungsgegner_innen. Sie werden besonders im Internet diffamiert, zum Beispiel als „Massenmörder_innen“. Es gibt Listen mit ihren Kontaktdaten, damit sie gezielt durch Anrufe, Briefe und Faxe belästigt werden können. Ihnen wird vorgeworfen für Schwangerschaftsabbrüche zu werben (was verboten ist), was wiederum zu wiederholten Überprüfungen führt und die Finanzierung bestehender Beratungsangebote immer wieder gefährdet. Bei Veranstaltungen wie Kongressen verteilen die Abtreibungsgegner_innen vor der Tür Plastikpüppchen an Passant_innen, die den angeblichen Fötus in der zwölften Schwangerschaftswoche darstellen sollen, aber viel größer sind – hier werden also gezielt Falschinformationen verbreitet. Demonstrationen vor Beratungszentren und Praxen fallen außerdem unter Meinungsfreiheit, solange Patient_innen nicht konkret bedrängt werden.

Wer demonstriert gegen den „Marsch für das Leben“?

Im letzten Jahr gingen schätzungsweise 1500 Leute gegen die vermeintlichen „Lebensschützer_innen“ auf die Straße. Damit nimmt die Zahl der Gegendemonstrant_innen zwar endlich etwas zu, ist aber noch längst nicht groß genug, weswegen euch hiermit noch mal sehr ans Herz gelegt sei, euch dieses Jahr zu beteiligen. <3

Dazu gehört im übrigen auch, dass nicht nur Menschen auf die Straße gehen, die potenziell schwanger werden können. Reproduktive Rechte gehen uns alle an:


#MännerfürSelbstbestimmung denn die meisten Cis-Männer würden es auch nicht wollen,

dass jemand anderes über ihre Klöten entscheidet.

Für Berlin gibt es zwei Aufrufe zur Gegendemonstration:

Das queer-feministische WHAT THE FUCK?!-Bündnis trifft sich am 19. September um 11 Uhr am S-Bahnhof Anhalter Bahnhof. Alle weiteren Infos hier.

Auf Facebook: facebook.com/1000KreuzeWTF (Facebook Event)
Auf Twitter: @nofundis

Das Bündnis für Sexuelle Selbstbestimmung ruft ebenfalls zur Gegendemo auf. Unter dem Motto „Leben und Lieben ohne Bevormundung“ trifft es sich ab 11.30 Uhr am Brandenburger Tor zu einer Kundgebung und anschließenden Demo bis zum Gendarmenmarkt. Weitere Infos hier.

Die Forderungen des Bündnisses lauten:


– eine geschlechter- und kultursensible Sexualaufklärung für alle
– Informationen und den Zugang zu Verhütung: Verhütungsmittel als Kassenleistung
– die kostenfreie Vergabe der „Pille danach“
– den uneingeschränkten Zugang zum legalen Schwangerschaftsabbruch und die Streichung des §218 aus dem Strafgesetzbuch
– die vollständige Anerkennung aller Formen des Zusammenlebens
– soziale und ökonomische staatliche Unterstützung und die notwendige Infrastruktur für alle, die sich für ein Kind entscheiden, damit sie ihre eigene Lebensplanung aufrecht erhalten können

Auf Facebook: facebook.com/PRO.Familienplanung (Facebook Event)
Hashtags: #mybodymychoice, #nofundis

Seid laut, seid bunt und zeigt, dass sexuelle Selbstbestimmung ein grundlegendes Menschenrecht ist!


flyerFrontWeb_Aug2015

Und wenn ich nicht vor Ort sein kann, aber helfen möchte?

Wer nicht dabei sein kann, kann für das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung spenden:

IBAN DE73 1002 0500 0003 3144 00
BIC BFSWDE33BER
Bank für Sozialwirtschaft
Stichwort: Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung

Auch die wichtige Arbeit von proFamilia könnt ihr mit einer Spende unterstützen:

IBAN DE22 5502 0500 0007 0156 00
BIC BFSWDE33MNZ
Bank für Sozialwirtschaft

Ansonsten empfiehlt sich einfach immer zu schauen, welche Beratungsstellen in eurer Nähe tätig sind und sich mit Sicherheit genauso über Hilfe freuen.

Wir sehen uns auf der Straße!



19 Antworten zu “Was ist der „Marsch für das Leben“ und warum sollten wir dagegen auf die Straße gehen?”

  1. Giliell sagt:

    Ich hatte ind er 10. Woche eine Fehlgeburt. Irgendwie kam niemand zur Beerdigung (auch ich nicht). Gab auch keine polizeiliche Ermittlung wegen ungeklärtem Todesfall (was in den USA schonmal vorkommt und wofür man in Chile im Knast landen kann).
    Tief innendrin glauben nicht mal „Lebensschützer_innen“ dass ein/E Zygote/Embryo/Fötus ein Baby ist und echt wirklich das selbe wie ein Neugeborenes halt nur kleiner. Das merkt man bei der Frage „was sollte denn die Strafe für Abtreinung sein?“

    Wir sollten auf unsere eigene Sprache achten
    „Die weißen Kreuze stehen symbolisch für die abgetriebenen Kinder, um die
    während des Marschs getrauert wird – daher auch das Schweigen.“
    Die Anti-Choicer (die sind nicht „pro life“) mögen uns weißmachen wollen, dass „Kinder“ abgetrieben werden, aber dem ist nicht so. Außerhalb der ganz persönlichen Diskussion um die eigene Schwangerschaft rede ich nicht von „Kindern im Bauch“ o.ä.
    Ich habe seinerzeit eine Schwangerschaft verloren, einen Embryo. Mittlerweile habe ich Kinder. Das ist nicht zu vergleichen.

    Wünsche euch viel Glück und Erfolg!

    • Anne Wizorek sagt:

      Danke, habe es um ein „angeblich“ ergänzt. Ansonsten finde ich es schon wichtig darzustellen wie die Lebensschützer_innen zu ihren Auffassungen geraten, das heißt ja aber nicht, dass ich sie damit gleichzeitig stütze.

      • Giliell sagt:

        KLar muss man das darstellen, aber man muss ihre Sprache nicht übernehmen (oder eben auch einfach mal „Kinder“ und „Babys“ schreiben. Ich bin da, nach vielen Debatten, sehr sensibel geworden für die Sprache die wir benutzen, oft ganz ohne HIntergedanken. Kind und Baby sind sehr stark besetzte Begriffe. Wenige Dinge lassen uns mehr erschauern als ein Verbrechen an einem Kind. Anti-Choicer nutzen das bewusst. Die Gleichsetzung von Schwangerschaft=Baby soll eine emotionale Reaktion hervorrufen. Und oft tun wir selber das, unbewusst, einfach weil’s so üblich ist.

    • Tessa Laubmann sagt:

      Jeder der Biologie in der Schule hat – und das sind viele -, weiß, dass mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle die komplette DNA von Mutter und Vater an die befruchtete Zelle übergeht. Da ist alles drin, was ein Kind später mal ausmacht – Haarfarbe, Größe, Gesichtsform, Persönlichkeit etc.. Entweder habt ihr alle nicht aufgepasst in der Schule oder ihr seid ignorant.

      • Auto_focus sagt:

        Richtig, und DNA ist ein Biomolekül – und kein Kind. Abgesehen davon würde ich dich bitten, von Beleidigungen wie „ignorant“ abzusehen und dich an unsere Kommentarregeln zu halten.

        • Tessa Laubmann sagt:

          ignorant ist keine Beleidigung sondern heißt: „nicht wissen“. Kann ja sein, dass die DNA ein Biomolekül ist, aber es bleibt dabei, alle Infos für das Kind sind darin enthalten.

          • Auto_focus sagt:

            ignorant = „von (tadelnswerter) Unwissenheit zeugend, Gebrauch: bildungssprachlich abwertend“ (Duden).

          • Rentier sagt:

            Wenn ich die DNA sequenziere und auf einem USB-Stick speichere sind da die gleichen Informationen drauf. Mein USB-Stick ist dann ein Kind und dessen Löschung Mord!

  2. Kein Schwarz und Weiß denken sagt:

    Interessant finde ich, dass hier zwar die Seite vom Marsch für das Leben gezeigt wird, aber nicht was die Gegendemo erreichen will.
    Wollt Ihr einfach das alles so bleibt wie es ist, oder habt Ihr mehr Ziele?

    • Anne Wizorek sagt:

      Also 1. bin ich persönlich nicht die gesamte Gegendemo (weder die eine noch die andere). Und 2. habe ich genau deswegen auch die Seiten verlinkt, beim Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung steht da zum Beispiel:

      „Wir fordern

      – eine geschlechter- und kultursensible Sexualaufklärung für alle

      – Informationen und den Zugang zu Verhütung: Verhütungsmittel als Kassenleistung

      – die kostenfreie Vergabe der „Pille danach“

      – den uneingeschränkten Zugang zum legalen Schwangerschaftsabbruch und die Streichung des §218 aus dem Strafgesetzbuch

      – die vollständige Anerkennung aller Formen des Zusammenlebens

      – soziale und ökonomische staatliche Unterstützung und die notwendige Infrastruktur für alle, die sich für ein Kind entscheiden, damit sie ihre eigene Lebensplanung aufrecht erhalten können“

  3. Kerstin sagt:

    Danke für den wichtigen Beitrag und den Hinweis auf die Gegendemos!! Nur eine Anmerkung: Der Marsch für das Leben findet bereits
    seit 2002 statt (nicht wie im
    Text erwähnt seit 2009) „Der Marsch für das Leben fand in Berlin in den
    Jahren 2002, 2004, 2006
    und seit 2008 jährlich statt, bis 2006 unter dem Namen „1000 Kreuze für
    das Leben“.“ (Quelle: http://www.marsch-fuer-das-leben.de/index.php)

  4. Felix sagt:

    Und was gibt es jetzt nochmal für Argumente für Abtreibungen? Davon steht in dem Artikel leider nichts.

    Und sexuelle Selbstbestimmung bedeutet nicht, dass man für sein Handeln keine Verantwortung zu tragen hat.

    Das ist so als würde man sagen, dass Meinungsfreiheit bedeutet, dass man alles von sich geben darf was man möchte, aber dafür keinesfalls kritisiert werden darf.

    • Auto_focus sagt:

      Sich für oder gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden, bedeutet, Verantwortung für sein Handeln und das eigene Leben / den eigenen Körper zu tragen.
      Frauen tragen Verantwortung für sich und entscheiden selbst darüber, was mit ihren Körpern passiert. Da hast du dein Argument für Abtreibung.

  5. Auto_focus sagt:

    Es kommt so ziemlich *alles* dazu. Arme, Beine, Gehirn… Ein Zellhaufen mit DNA-Informationen ist keine Person.

    • Felix sagt:

      Nein, das ist alles schon da. Es kommt kein Gehirn von extern hinzu. Es ist schon im Fötus drinnen. Genau wie alles andere.

      Richtig ist: Es steht noch alles am Anfang der Entwicklung. Aber nur weil sich jemand noch weiterentwickeln muss ist er kein Mensch? Das finde ich äußerst fragwürdig. Da müssen erstmal Fragen geklärt werden wie „Was ist ein Mensch?“. Solange sowas nicht vollständig geklärt ist sollte man nicht so tun als sei Abtreibung ethisch unproblematisch.

      • Auto_focus sagt:

        Ich sprach auch nicht von „extern“. Was du dabei problematisch findest ist für mich dabei ehrlich gesagt irrelevant. Frauen müssen selbst über ihren Körper bestimmen können. Alles andere finde ich nämlich sehr problematisch.

  6. Auto_focus sagt:

    Du meinst es sicher gut und willst Trost spenden, aber vergiss dabei bitte nicht, dass nicht jede_r deinen Glauben teilt oder daraus Trost ziehen kann. Danke!

  7. […] kleinerdrei-Artikel von Anne – „Was ist der „Marsch für das Leben“ und warum sollten wir dagegen auf die Straße gehen?&… […]